Jochen Kruse
· 29.03.2023
Schlesischer Baron in Kanada, begnadeter Restaurator von Flügeltürern und Modellautosammler vor dem Herrn – was für ein Wintermärchen!
Immer wenn eines unserer sieben Kinder mit der Schule fertig war, habe ich ihm 1000 Dollar in die Hand gedrückt, es zu einer Reise animiert und in dessen Zimmer eine ganze Sammlung installiert, damit es auf keinen Fall wieder einzieht.“ Baron Rüdiger Günther von Koniczek, Mitte 70, den alle nur Rudi nennen, liebt es auch, als ausgesprochener Exzentriker zu posen. Dazu gehören das Hawaiihemd, der Dschungelhut und die Schweißerbrille.
Zur Inszenierung passen auch der Weg zu Rudis Residenz und das Anwesen selbst. Die Adresse führt tief in die Wälder im Nordwesten von Victoria, der Hauptstadt Britisch-Kolumbiens. Zwischen hohen Felswänden fahren wir auf einen kleinen Hof, kurz vorher grüßt uns ein altes Fahrrad oben am Fels („Mein Mountainbike“, wie Rudi augenzwinkernd erläutert), dann ein desolater Mercedes-Benz 319 mit deutschem Kennzeichen („Coburg: Da hat meine Mama Hotelfachfrau gelernt“). Im Pförtnerhäuschen („Freistaat Bayern“) erwartet uns der Hausherr am Schreibtisch, raumfüllend umrahmt von Vitrinen mit frühen Dinky Toys, Postern, Büchern.
„Sollen wir nach oben gehen?“ Eine unscheinbare Treppe in einer Ecke des Raums führt in ein Wunderland für Autofans: drei ausgewachsene 300 SL, wirkungsvoll präsentiert vor mannshohen Fotografien der Produktionshallen aus den Fünfzigern; ein moderner AMG-Flügeltürer; diverse Porsche; eine Reihe ganz besonderer Morgan; eine Sammlung BMW-Motorräder. „Hier war bis vor wenigen Jahren die Restaurierungswerkstatt.“
Wir aber sind besonders an seinen Modellfahrzeugen interessiert und wechseln bald ins Haupthaus. Erster Anlaufpunkt ist die Modellautowerkstatt im Kellergeschoss. Auf dem Tisch der bunt bemalte Rolls-Royce, dessen Original einst John Lennon besaß. In der Ecke eine große Slotbahn mit genügend Miniaturen, um alle Le-Mans-Starterfelder zwischen 1955 und 1970 komplett nachzustellen. Darunter auch die Modelle, mit denen für Rudi alles begann: Auf der Tür des Renn-SL das Familienwappen und der Namenszug des Fahrers (von Koniczek), am Steuer er selbst, im Diorama der Boxengasse umgeben von wohlgeformten weiblichen Fans.
Schon der Teenager Rudi, als Kind mit den Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg nach Kanada ausgewandert, ist nicht schüchtern. 15-jährig packt er ein paar selbst gefertigte Slotcars, mit denen er erfolgreich Rennen fuhr, in einen Aktenkoffer und verlangt bei Mercedes-Benz of Canada in Toronto den Chef zu sprechen. „Warum?“, fragt die Dame im Vorzimmer. „Sage ich nur dem Chef!“ Rainer Lange-Mechlen zeigt sich von Handwerk und Details beeindruckt, rätselt aber, warum ihm der junge Rudi die Modelle präsentiert. „Weil ich eine Lehrstelle möchte.“
Schnell stellt sich heraus, dass Rudi goldene Mechanikerfinger hat. 1971 macht er sich mit einer Tankstelle ganz im Westen Kanadas selbstständig. Er will an alten Autos schrauben, nicht an neuen. Und er fährt sehr erfolgreich Rallyes, in selbst präpariertem englischem Eisen. Das macht Kunden aufmerksam, und endlich darf er wieder Mercedes reparieren: „Wo immer einer stand, habe ich eine Visitenkarte hinterlassen: Mercedes Specialist.“ Was mit einer Heckflosse beginnt, ist 50 Jahre später ein beeindruckendes Lebenswerk: Allein deutlich über 100 verschiedene 300 SL Flügeltürer und Roadster wurden von ihm restauriert – nicht selten beginnend mit einem völligen Schrotthaufen, dazu edle Wagen von Ferrari bis Isotta Fraschini. „Wie neu – aber nicht besser als neu“ heißt Rudis Devise, die Kunden aus aller Welt überzeugt.
Zum Beispiel auch Kanadas Ministerpräsidenten Justin Trudeau. Dieser hat von seinem Vater einen SL Roadster geerbt, und Rudi bekommt einen besonderen Auftrag: Bitte komplett restaurieren, das Fahrzeug muss aber am 28. Mai 2005 fertiggestellt und in Montreal sein. Denn da will Trudeau seine Sophie in dem silbernen SL zum Traualtar führen. Dies gelingt, zum Dank sind Rudi und Gattin zur Hochzeit geladen.
Und er sammelt Autos groß und Autos klein, Automobilia mit dem Schwerpunkt Mercedes-Benz, Erinnerungsstücke an und von Fangio und Moss. Und alles zum Thema Tin-Tin. So heißen die Geschichten von Tim und Struppi im belgischen Original – insgesamt 24 Alben erschienen zwischen 1929 und 1976. „Die Comics von Hergé waren meine kleinen Fluchten in den schwierigen Jahren nach der Emigration nach Kanada.“ Heute bevölkern nicht nur alle Fahrzeuge, die je durch die Bände fuhren, die sorgfältig arrangierten und beleuchteten Vitrinen im Hause Koniczek. Auch die Helden und Bösewichte der Abenteuer und alle möglichen Artefakte der Comic-Serie finden sich im Miniatur-Maßstab wieder.
Rudi ist ein charmanter und stolzer Gastgeber. Nur eine einzige dunkle Wolke trübt den Besuch, als der Autor angesichts eines großen, wundervoll detaillierten Modells der Flügeltür-Technik vorwitzig fragt: „Ist das von Pocher?“ „Was? Nein! Mercedes hat in den Fünfzigern zehn Stück davon gebaut. Das ist eines davon.“ Ein Hauch von Stolz huscht für eine Sekunde über sein Gesicht.
„Kommt mal wieder vorbei“, sagt Rudi zum Abschied. „Ich höre und spreche so gerne Deutsch.“