Ulrich Biene
· 08.06.2022
Vier Doppeldecker-Generationen miniaturisierte Wiking bis heute. Die Vorbilder stammen aus der einstigen Heimat der Traditionsmodelle – Berlin.
Als Fritz Peltzer in den Fünfzigern aus seinem Fenster auf die alte B1 in Lichterfelde blickte, fuhren sie verlässlich vorbei: Die mächtigen Doppeldeckerbusse hielten unweit des Stammsitzes Unter den Eichen 101. Kein Wunder, dass sich der Büssing D2U gleich zu Beginn der verglasten Ära im Wiking-Programm wiederfand. Sein prägnanter Frontlenkerauftritt mit der chromblitzenden Büssing-Spinne, am Heck der offene Einstieg mit dem wartenden Schaffner – ein Bus mit Charakter. Nirgendwo sonst in der jungen Bundesrepublik hatten die Doppeldecker solch stadtprägende Ausstrahlung wie im geteilten Berlin.
Bereits vor dem Krieg waren Doppelstockbusse in alle Himmelsrichtungen unterwegs. Nun gab es das Vorbild auch als verglastes Modell, maßstäblich passend zur Modellbahn. Dass der Berlin- Bus in den Sechzigern nicht zu den Kassenschlagern von Wiking zählte, erklärt sich von allein. Die Käufer griffen lieber zu Autos, die sie aus dem Straßenbild kannten. Berlin- Busse zählten nicht dazu. Wiking- Chef Fritz Peltzer sparte sich die aufwendigen Schriftzüge der Vorbilder – sie wurden kurzerhand gegen die Eigenwerbung für Wimo-Sip oder Wiking-Flugzeuge ausgetauscht. Allenfalls wurde mit den aufgetragenen Nassschiebebildern zum Wohle der Volksgesundheit der täglichen Ration Milch gehuldigt. Später arbeitete Wiking beim Büssing D2U vorbildgerecht nach: Den offenen Aufstieg ersetzte eine geschlossene Tür. 1973 kündigte MAN auf der IAA endlich eine völlig neue Busgeneration an.
Mit dem „Standard-Doppeldecker“ SD 200 hatten die Lkw-Bauer ihre modernisierte Baureihe für den Liniendienst abgeschlossen. Karosseriebauer Gaubschat in Berlin übernahm die Fertigung. Beim Vorbild konnten 35 Fahrgäste unten sitzen, auf dem Oberdeck 53. Der Bus – im Original 11,49 Meter lang und präzise 3,99 Meter hoch – sollte in den Siebzigern und Achtzigern das Straßenbild im Westen Berlins prägen. Als der neue Doppeldeckerbus SD 200 dann 1978 bei Wiking Premiere feierte, waren die Sammler längst in freudiger Erwartung.
Den Traditionsmodellbauern in Lichterfelde gelang es erneut, auch die jüngste Generation in einem wunderschönen, authentisch wirkenden Modell vorzustellen. Der Bus verfügte über eine standardisierte BVG-Bedruckung, die Zielschilder konnten sich die Wiking-Freunde erstmals aus der Packungseinlage der Klarsichtfaltschachtel ausschneiden und in Eigenregie einkleben. Später gab es auch Varianten mit werbenden Selbstklebefolien. Wiking-Chef Fritz Peltzer musste seinerzeit neue Wege gehen, weil der Sammleranspruch gewachsen war. Noch vor Ende seiner großen Ära entschied Fritz Peltzer, die Berliner Uhr mit dem Blick auf eine frühe Busepoche zurückzudrehen. Der Vorkriegsdoppeldecker D38 erschien 1981 und ergänzte die Klassikerserie perfekt.
Peltzer musste nach dem Vorbild nicht lange suchen, denn der Büssing Doppeldeckerbus mit der mächtigen Haube hatte schon einmal einen festen Platz im Berliner Modellprogramm. Bereits vor dem Krieg war der D38 Vorbild für ein Wiking-Metallmodell der ersten Verkehrsmodell- Serie in 1:200 gewesen. Die zweite Wiking-Generation des Berlin-Busses sollte nach und nach mit werkseitiger Direktbedruckung zur Auslieferung kommen. 1983 erschien die „Chlorodont“-Werbung, 1985 thematisierte Wiking die „Ideal Lebensversicherung“. „BVG – ein Stück Berlin“ hieß es dann 1986. Mit der Weiterführung von Wiking Modellbau durch die Lüdenscheider Modellbauer von Sieper zogen die Modellwerkstätten in die Industriestraße in Tempelhof und widmeten dem benachbarten Unternehmen Novapax ein Werbemodell.
Pikantes Detail: Novapax war es in den Fünfzigern, die nahezu in Wiking-Manier die Borgward Isabella als 1:40er gebaut hatte. Beim Tag der offenen Tür in Tempelhof am 30. August 1986 gab’s für geladene Gäste – vorzugsweise Mitarbeiter und deren Familien – ein schneeweißes Doppeldeckerbus- Modell des SD 200. Das gerade neu eingeführte Wiking-Logo kündete an den Flanken vom Aufbruch in eine neue Zeit. Ganz in Orangegelb erschien ein Auftragsmodell mit dem Schriftzug „Leben und Arbeiten in Berlin“. Die besondere Verbindung zu Berlin wurde vor allem deutlich, als 1987 zum Jubiläum „750 Jahre Berlin“ ein Dreier-Set vorgestellt wurde, in dem Wiking einmalig alle drei Busse zusammenführte. Dass sich mit der Modernisierung der Modellbauwerkstätten auch die Bedruckungsqualität sichtbar erhöhte, zeigte sich 1990, als die Modellbauer den SD 200 erstmalig in einer 360-Grad-Gestaltung der Berliner Zeitung „BZ“ präsentierten.
Noch begehrter sollte 1991 ein Auftragsmodell für den „Sandra Beauty-Shop“ werden. 2001 machte Veltins mit einem Sonder-Büssing auf sich aufmerksam, der an die Vor-Wendezeit erinnerte, als der „Veltins“-Bus im Stundenrhythmus über den Ku‘damm rollte. Jetzt folgt der Youngtimer mit der zeitgenössischen Werbebande von „Möbel Hübner“ bei den Juni-News. Zwischendurch hatte mit dem MAN D 89 die vierte Generation ihren festen Platz im Wiking-Programm erobert. 1992 noch in BVG-Beige vorgestellt, vollzog Wiking den gelben Farbwechsel der Vorbilder. Weitere aufwendig bedruckte Varianten folgten.
Wiking schloss sich der Aktion „Berlin 2000“ an und warb mit einem mehrfarbigen Modell für die Olympia-Bewerbung. Und dann war da noch 2004 Hertha BSC Berlin, die sich den Bus in den blauen Vereinsfarben mit dem heckseitigen Rundlogo gestalten ließ. Dass sich 2005 der D 89 als tiefschwarzer Traditionsbus anschloss, war nur konsequent, denn längst hatten die Berliner Doppeldeckerbusse Kultstatus erhalten. Und der gilt bis heute. Dass es inzwischen jede der drei Nachkriegsbusgenerationen in den Farben von „Möbel Hübner“ gibt, zeigt einmal mehr, wie die Traditionsmodellbauer aus der Aktualität auch gern einen traditionellen Lückenschluss ableiten.