Andreas A. Berse
· 06.01.2023
Nix Hochdach: Beim Volkswagen T1 „Lowrider“ von Schuco geht die Reise in die genau entgegengesetzte Richtung – passt gut zum Indian Summer!
Puristen müssen jetzt ganz tief durchatmen! Denn Tiefergelegtes ist garantiert nicht ihr Ding. Darf man sich als Modellautofirma an einem Mythos vergehen? Eventuell wenn man selber ein Mythos ist? Aber: Wenn du Mut zu einer kreativen Modellpolitik hast, und der gehört bei der Traditionsmarke Schuco seit Jahrhunderten zum Lastenheft, dann darf dir fast nichts heilig sein. Und wenn die nerdige Idee raus will aus deinem Kopf, dann musst du sie einfach cool auf ihre vier Räder stellen. Selbst in 1:18 und sogar in Die Cast. Und dann legst du den hauseigenen Volkswagen T1 als Lieferwagen ganz einfach schamlos tiefer.
Du hast jetzt nur eine Chance, dich nicht völlig zu blamieren: Mach es mit Stil! Bedeutet: Staple nicht zu tief und gönne deinem furiosen Gesamtkunstwerk – um das Publikum zu versöhnen – die unwiderstehlichen Fuchs-Felgen, die jeder Besitzer des Originals so gerne auf seinem Bulli sehen würde. Ja! Aber da fehlt noch irgendetwas, um den richtigen Eindruck beim Publikum zu hinterlassen. Die Mischung stimmt noch nicht ganz. An irgendeinem Gewürz hapert es noch, das alles genial abrunden könnte. Irgendein Gag, wie das zu Zeiten des Volkswagen T1 hieß, irgendein Gadget, wie das im Sprech der iPhone-Generation heute heißen würde. Die Schuco-Macher sind selbstverständlich drauf gekommen, mit ihrem stilsicheren Empfinden für Variationen, die bei ihren 1:18-Käufern Anklang finden könnten. Sie haben einen schmucken Dachgepäckträger ausgebrütet, der sich über der hinteren Hälfte des runden, tonnenförmig gebogenen Bulli-Dachs breitmachen darf und so das Tieferlegen optisch wieder etwas auffängt. Er besteht aus Eindruck erheischendem Chrom, ist astrein mit originalgetreu eingefärbten Holzleisten verfeinert und parkte bereits im eigenen Formenfundus! So aufgebrezelt, sollte diese provokante 1:18-Neuheit der fränkischen Modellauto-Ikone auch die strengste Geschmacks-Polizei links liegen lassen, ohne gleich ein Ticket zu bekommen.
Und wer könnte diesem verkleinerten Bulli im Bburago-Maßstab seine Schrullen, die er sich leistet, krumm nehmen, wenn er im Lichte eines „Indian Summers“ vor die Kamera rollt? Das passiert natürlich auch im Fränkischen, in einer Region, die sich für die Ablichtung von Erlkönigen bestens bewährt hat. Da hat es die Security, die das 1:18-Unikat vor neugierigen Blicken beschützt, eben viel einfacher.
Der gar nicht dezente Bulli kommt als Lieferwagen in einer eher stilvoll gewählten Lackierung vor die Linse. Oben hat ihn Schuco in einem schimmernden Grau gehalten, unter der Schulterlinie in gedecktem Bordeauxrot. Dazu passen die Füchse, bestückt mit eher schmalen Reifenformaten Marke Asphaltschneider, bestens. Sogar in Sachen Auspuff bläst Schuco dem Serientrimm nicht den Marsch.
Die inneren Werte des Bulli sind Standard, aber einer von höchster Güte. Das beginnt schon bei der Armada an zu öffnenden Bauteilen: die Vordertüren, die zweiflügelige Ladetür, der Tankdeckel, die Heckklappe und die Haube über dem Boxermotor, der als fein umgesetzte Verkleinerung aus Kunststoffteilen den schmalen Einbauraum füllt. Am Fahrwerk ist die Technik des Helden beim Wiederaufbau im Nachkriegs-Deutschland sehr feingliedrig nachgezeichnet – bis in die Leitungen der Bremsanlage hinein. Viel Käfer-Technik ist da mit an Bord.
Aber der Versuchung von Schalensitzen im Cockpit haben die Produktentwickler erfolgreich widerstanden. Ein klassisches Bulli-Cockpit der ersten Generation lässt der „Lowrider“ dort erkennen, das Momo-Lenkrad muss draußen bleiben, der in Amerika so beliebte, auf die Lenksäule aufgesetzte Drehzahlmesser auch. Wer beim Boxer nach Drehzahl sucht, ist sowieso eine klassische Fehlbesetzung für solch eine Legende der Automobilgeschichte.
Über die Motorleistung, die da im Heck mit an Bord ist, schweigt sich der Hersteller aus der Werkstraße 1 in Fürth hartnäckig aus. Es bleibt bei der augenzwinkernden Floskel, die schon Bentley und Rolls-Royce berühmt gemacht hat: genug. Der Autor als ehemaliger Umbauer von 1:24-Plastikkits denkt natürlich sofort über die Implantation eines Boxers aus dem 356er nach. Der vom unlängst in unserem Magazin vorgestellten legendären „V2“ wäre da nahezu ideal geeignet. Den hätte Schuco sogar in seinem eigenen Technikregal liegen.
Eines ist jedenfalls sicher: Auf der Spielwarenmesse 2023 in Nürnberg werden sich die Zuschauer mit Boxerherz genau an der Vitrine ihre Nasen platt drücken, in der dieser ungewöhnlich gewagte Bulli in 1:18 dann einer großen und internationalen Öffentlichkeit präsentiert wird. Nach der Messe sollte der tiefergelegte Neuzugang dann auch bei den Fachhändlern der Marke im Schaufenster die Diskussionen anregen. Benzingespräche unter Sammlern sind ihm sicher. Verkaufspreis: 99 Euro. Und den könnte man angesichts der gebotenen Qualitäten dieses Volkswagen T1 auch als tiefergelegt interpretieren.