Ulrich Biene
· 16.11.2022
Fritz Peltzers Philosophie lebt weiter. Die Wiedergeburt der US-Kofferauflieger mit den markanten Rippen macht vielversprechende Züge möglich.
Erst die Pausbacke, dann das Pullman- Fernfahrerhaus und außerdem die Volvo F88 und F89 – mit diesen Zugmaschinen hat Wiking in den letzten Jahren der Lkw-Vielfalt der Sechziger bis Achtziger einen guten Dienst erwiesen. Doch die Zugmaschinen allein waren nur der erste Impuls. Die Traditionsmodellbauer haben früh daran gearbeitet, ihr Spektrum an veritablen Lastwagenklassikern perlenschnurähnlich mit zeitgenössischen Aufliegern nach und nach zu ergänzen. Gerade in den letzten Jahren vergeht kaum eine Auslieferung, mit der Sammler nicht von der wachsenden Kombinierbarkeit der Auflieger profitieren, die einer Wundertüte gleicht.
Heute ergänzen sich Zugmaschinen und Auflieger in facettenreicher Breite. Dank der Investitionen in zahlreiche Projekte entstehen genau die au - thentischen Lkw-Züge, die sich Sammler schon immer aus den Wiking-Werkstätten gewünscht ha - ben. Gut Ding braucht eben Weile. Das war bei Wiking schon immer so. In diesem Jahr sind zwei Auflieger hinzugekommen, die beide die Handschrift des Wiking-Modellbaumeisters Alfred Kedzierski tragen. Denn in Lüdenscheid haben die Konstrukteure eben nicht munter drauflosgearbeitet, sondern sich sklavisch an Peltzers Markenphilosophie entlanggehangelt. Weniger ist mehr – die Handschrift der Klassiker- Newcomer ist unverwechselbar.
Sie verzichten manches Mal auf präzise Maßstäblichkeit und miniaturisieren lieber Zugmaschinen und Auflieger, die konsequent die sprichwörtliche Wiking-DNA verkörpern. Sie sind optisch stimmig und huldigen in ihrem Purismus den Sechzigern, in denen Fritz Peltzer mit seinem Meister Kedzierski die wegweisenden Wurzeln für die noch junge Ära der verglasten Miniaturen legte. Passgenau dazu gibt es ein Wiedersehen mit jenem Auflieger, der auf der Nürnberger Spielwarenmesse 1965 als Großraumauflieger vorgestellt wurde. Dorsey hatte zwei Jahre zuvor, auf der IAA 1963, mit einem augenfällig sehr ähnlichen Vorbild für Furore gesorgt, weil die USKarosseriebauer erstmals einen Kofferauflieger in typisch amerikanischer Optik nach Deutschland brachten. Es war die Zeit, als Logistiker noch Spediteure hießen und das Fuhrgeschäft erst begann, weit über die Grenzen der Bundesrepublik zu expandieren.
Die Internationalität forderte schlanke, volumenoptimierte Transporteinheiten, wie sie die Aufliegergeneration jener Jahre auf die Straße brachte. Nur allzu dumm für den Wiking-Auflieger in Dorsey- Optik. Dessen Formen waren einst aus Sparsamkeitsgründen bei Wiking umgebaut worden, sodass Fritz Peltzer nolens volens den so typischen Rippenkoffer opfern musste. 57 Jahre nach seiner Vorstellung gibt es jetzt eine erneute Premiere: Den mächtigen Edelstahlkoffer haben die Wiking-Konstrukteure in originaler Kedzierski-Optik 87-fach neu miniaturisiert. Zur Premiere wird er von der Pullman-Zugmaschine mit großer Fernverkehrskabine ins Programm gezogen – ein feiner Zug. Wer genau hinschaut und einen Vergleich der Modelle aus alten und neu - en Formen wagt, erkennt feine, aber dankbare Unterscheidungsmerkmale in den Gravuren der Seitentür.
Und Wiking wäre nicht Wiking, wenn man für die Zukunft nicht gleich an eine türfreie Flankenversion gedacht hätte, die gern noch mit einem Kühlaggregat an der Stirn zum Thermokoffer aufgewertet werden kann. Es ist ein cleveres Baukastensystem. Aber warum gelingt es den Traditionsmodellbauern seit einigen Jahren, so inspirierende Klassiker-Gespanne auf die Räder zu stellen? In Lüdenscheid hat sich das Team eben intensiv mit dem Formenschatz aus der Peltzer-Ära beschäftigt und nicht nachgelassen, dem eigenen Markenkompass zu folgen. Mit Augenmaß, aber vor allem bestem Werkzeugbauer- Know-how hat es begonnen, die vielen Möglichkeiten auszuschöpfen, um mit dem Formenneubau Altes und Neues kombinierbar zu machen.
Selbstverständlich hilft dabei die neueste 3D-Scantechnik, um auf Basis der vorhandenen Mo - delle die Konstruktion von Beginn an zu optimieren. So gelang es 2012 mit der Pausbacke von MAN, einem endgültig verloren geglaubten Modell ein zweites Leben einzuhauchen. Hintergrund: 1976 war dessen Form umgebaut worden, um das Fahrerhaus zu einer stilisierten US-Zugmaschine „umzugravieren“. Aus dem feinen MAN-Kühlergrill wurde ein mächtiges Gitter, auf dem Dach waren plötzlich Positionsleuchten und Lufthörner zu finden.
So ging vor zehn Jahren ein Raunen durch die Sammlerschaft, als die Pausbacke ihre überraschende Wiedergeburt feierte. Einst von sammelnden Zeitgenossen gern verschmäht, hat die Zeit alle Wunden geheilt und die damalige Frontlenkergeneration von MAN zum heutigen Lkw-Liebling werden lassen. Als weiteres Projekt nahm sich Wiking des Pullman-Fahrerhauses an, um aus der schmalen Version die Fernverkehrsvariante entstehen zu lassen. Schließlich realisierten die Traditionsmodellbauer noch den Volvo F88 sowie seinen Typennachfolger F89 mit großem Kühlergrill. Allerdings: Die Konstrukteure wichen ganz bewusst vom Präzisionsmaßstab 1:87 ab und ließen den Schweden im „angenäherten Maßstab 1:90“ ins Programm fahren.
Fritz Peltzer hatte diese Maßstabsprämisse schon vor sechs Jahrzehnten ausgerufen. Und auch der einachsige Kofferauflieger der frühen sechziger Jahre konnte neue Impulse geben. Er kehrte als Formenneuheit ebenfalls ins Programm zurück – jetzt aber mit zwei Achsen. Dass zwischenzeitlich Zugmaschinen wie der Henschel HS 140 als neu konstruierte Überraschungscoups in den Formenfundus vorgedrungen sind, macht die Erwartungshaltung der 1:87-Sammler nur größer. Was modellbauerischen Reiz bringt, sorgt für dauerhafte Spannung und wirkt als Beschleuniger für die eigene Marken-Passion. Die Wiking-Macher sind mehr denn je die Gestalter einer Leidenschaft. Überzeugen müssen die Modelle gestern wie heute, zusätzlich begeistern können die zeitgenössischen Themen. Wiking erzählt mit jeder Neuheit eine eigene Geschichte.