Ulrich Biene
· 16.01.2025
Wer den neuen Esso-Tanksattelzug mit kubischer MAN-Zugmaschine in Händen hält, darf sich eines Stücks authentischer Wiking-Tradition erfreuen. Tatsächlich reicht die Esso-Story bei Wiking weiter zurück als das 1948 gestartete Programm der Verkehrsmodelle. Der Gründer der Berliner Modellbau-Werkstätten Fritz Peltzer hatte schon in Vorkriegsjahren eine Affinität zu der Kraftstoffmarke. Als er 1936 für sein Programm der Wasserlinienmodelle in 1:1250 hölzerne Hafenmolen bauen ließ, sollten die mächtigen Hafentanks am Schiffsanleger nicht fehlen. Deren Lagertanks trugen Nassschiebebilder mit den Logos von Esso und Essolub. Fritz Peltzer liebte schon früh diese für ihn typische Authentizität. Schon 1949 gab es den ersten Tankwagen im unverglasten Drahtachser-Programm von Wiking. Warum fuhren also die ersten Esso-Tankwagen mit rotem Fahrerhaus und blauem Tankaufbau ins Programm? Ganz einfach! Esso-Tankfahrzeuge waren in Vorkriegsjahren genau so unterwegs.
Fritz Peltzer erkannte die Bedeutung und den Spielwert von Tankwagen wie Tankstellen. Beides waren bis in die sechziger Jahre Leuchttürme des Wirtschaftswachstums. Die großen Mineralölkonzerne wie Esso, BP und Shell genossen nach Kriegsende in allen Westzonen das Vertrauen der Alliierten. Sie sollten die Treibstoffversorgung nicht nur wiederherstellen, sondern zugleich neu aufbauen. Ganz vorn dabei: so etwas wie ein Esso-Imageprojekt – der Supertankwagen!
Im Jahr 1953 erschien bei Wiking der Henschel HS 190 Bimot „Supertankwagen“. Nicht nur als Vorbild, auch modellbauerisch galt er als Superlativ. Dass sich Wiking-Modellbaumeister Alfred Kedzierski dieses Projekts annehmen sollte und nach dem behäbigen Stromlinienbus erstmals ein feines Fahrer haus mit durchbrochenen, henen, wenn auch unverglasten Fenstern schuf, war so etwas wie ein Fingerzeig der künftigen Wiking-Entwicklung. Sein Preis ließ aufhorchen und manches Taschengeld – na ja, so war das mals – schon vor dem Kauf knapp da- werden. Mit 2,50 Mark war dieser Tanksattelzug auf dem Ladentresen genauso teuer wie der 1:40-Käfer. Die Konstruktion mit fünf feinen Frontholmen erwies sich für Kedzierski als Drahtseilakt, akt, denn Wiking betrat damit in Sachen Filigranität Neuland.
Der Esso Supertankwagen war der Ausgangspunkt einer Erfolgsgeschichte. Der Mineralölkonzern investierte in jenen Jahren massiv in den Ausbau von Transportkapazitäten. Doch das war erst der Anfang im Tankwagenbau von Wiking. 1956 folgte der einachsige Tankauflieger nach Vorbild des Wuppertaler Karosseriebauers Eylert. 1958 stellte Wiking den ersten Solo-Tankwagen vor, zwar immer noch unverglast, aber wenig später mit durchbrochenen und verglasten Fahrerhäusern des Mercedes-Benz Langhaubers, Magirus-Rundhaubers 3500 oder des Büssing 4500.
Fritz Peltzer behielt die Tankwagenflotte über all die Zeit im Auge. Neben Esso favorisierte Wiking Aral und Shell. Es folgte der Magirus-Eckhauber mit aufgebautem Tank. 1965 löste dann die neueste Henschel-Generation HS 14/16 den Supertankwagen ab. Ein Glücksgriff gelang Alfred Kedzierski 1966 mit dem zweiachsigen Blumhardt-Tankauflieger, der es erstmals möglich machte, den heckseitigen Pumpenstand zu öffnen. Der Wuppertaler Karosseriebauer lieferte 1969 ebenso das Vorbild für den neuen Heizöl-Kesselwagen, der auf dem Kurzhauber-Fahrgestell von Mercedes sein Debüt feierte. Ihm folgten die Fahrerhäuser erst der kubischen, dann der NG-Generation. Ein Verteiler-Lkw fuhr 1972 mit dem MAN-Hauber und einem Esso-Aufsetztank auf einer Standardpritsche ins Programm. Inzwischen hatte sich das Corporate-Design von Esso verändert. Das dominante Feuerwehrrot der fünfziger Jahre war der weißen Grundgestaltung gewichen. Nur ein rotes Band mit Markenlogo dekoriert seither die Tankfahrzeuge. So kam 1969 für kurze Zeit ein zweiachsiger Esso-Tankauflieger mit dem Mercedes-Benz Kurzhauber 1413 hinzu.
„Esso ist Treibstoff für die Wiking-Leidenschaft“
1973 schloss sich erstmals ein dreiachsiger Tankauflieger an – nach Vorbild des Mannheimer Tankwagenbauers Aurepa. 1986 folgte ein erster Klassiker – der Büssing 8000 zog den Esso-Tanksattelzug. Und zehn Jahre später erhielt der Braunschweiger Haubenklassiker dann auch einen eigenen Tankaufbau. Zuletzt wurde 2002 der Esterer-Tankzug auf Mercedes-Benz Atego-Fahrgestell vorgestellt, der als Verteiler-Lkw ausgerüstet war und dessen Hänger auf Zwillingsachsen lief. Fazit: Bei Wiking fühlt sich der Tiger pudelwohl.