Ulrich Biene
· 19.05.2023
Die Frage „Henne oder Ei?“ ist bei Wiking in Sachen Camping schnell geklärt. Andere sind aber viel interessanter.
Camping lag im Trend, die Karawane rollte weiter. Bei Wiking sowieso. Jetzt mit dem VW T4, auf dessen Fahrgestell einst Karmann den kantigen Wohnmobilaufbau setzte. Colorado hieß die Serie, die der Osnabrücker Karosseriebauer mit feinster Typografie verzierte. Ende der Neunziger begannen die Wohnmobile die Welt zu erobern – das neue Jahrtausend sollte ihnen gehören. Dabei hatten Wohnwagengespanne und der legendäre VW T1 von Westfalia die Reisewelle mit eigenem Bett schon zum Ende der Fünfziger ins Rollen gebracht. Seit 1957 gibt es bei Wiking den ersten Wohnwagen, in den Achtzigern folgen mächtige Wohnmobile mit Entdeckernamen wie Sven Hedin und James Cook. Wiking hatte zu keiner Zeit vergessen, wovon die Menschen träumen: von Mobilität, Entschleunigung und Lebensgenuss. Kein Wunder, dass Wiking-Gründer Fritz Peltzer sein Programm diesbezüglich immer feinjustierte, mit modellbauerischem Zusatznutzen zum Anhängen – ganz gleich ob Ruderoder Motorboot. Und wer mochte, der konnte den Anhängerhaken schon im Papiertütchen als Extra ordern, für ein paar Groschen. Nicht mehr als ein kleines Tröpfchen aus der Klebertube sollte ausreichen, um das eigene Traumgespann zu präsentieren.
Sport Bergers Ei, das die Borgward Isabella oder den DKW 1000 bei Wiking noch heute so schnörkellos und perfekt abrundet, sagt viel über die Bescheidenheit jener Jahre aus. Im vorderen Halbrund zwei Betten übereinander, ganz hinten zwei Schlafplätze nebeneinander, und das Reiseglück einer deutschen Familie im Wirtschaftswunder war perfekt. Fritz Peltzer ließ den Sport Berger, den der Volksmund gern auch als „Wanderniere“ verulkte, 1957 debütieren. Damit war der Beginn der Campingidee in 1:87 just in einer Zeit gelungen, als die Berliner Modellbauer längst am Beginn der verglasten Ära arbeiteten und sich in der Bundesrepublik erster Wohlstand breitmachte. Der Motorradboom war bereits ins Hintertreffen geraten, Deutschland wollte fortan knarrende Autotüren schließen hören und das Kunstleder-Aroma des Interieurs inhalieren. Besonders bequem wurde es in den Ferien immer dann, wenn man statt Zelt und Luftmatratze den Sport Berger im Schlepp hatte. Nicht vergessen: Campingplätze waren in jenen Jahren eher die Ausnahme. Es wurde dort haltgemacht, wo es gefiel. Drei Jahrzehnte später sollten diese Urlaubsgewohnheiten dann als wildes Campen verpönt sein. Das Ei – und genauso sieht der Sport Berger der ersten Wiking-Generation aus – verkörpert etwas vom Zeitgeist jener Jahre.
Organische, nierenförmige Gestaltungen lagen in der Gunst der Menschen vorn. Anfangs in beiger Farbgebung, ändert Wiking die Tönung 1958 in ein Grau und zog dem Knirps einige Jahre später als modellbauerisches Topping noch eine Alufolie übers Dach. Zehn Jahre später zeigte der Wohnwagenmarkt die veränderten Bedürfnisse der Menschen an Größe und Platz – Fritz Peltzer hatte es gespürt und seinem Modellbaumeister den Musterbau eines mächtigen Caravans aufgetragen. Der Wilk 630 ist ein echter Altachtundsechziger, und urplötzlich wurde aus einem kompakten Freizeitgespann ein mächtiges Luxusduo. Dank Chevrolet Malibu sollte dieser Wohnwagen in der Langversion eine neue Aura begründen. In enger Zusammenarbeit hatte Wiking den Wilk 630 miniaturisiert, sodass die Wohnwagenbauer das Modell sogar als Werbemodell nutzten. Das Dach war einfach abzunehmen, und jeder Wiking-Freund konnte in 1:87 am Reiseluxus teilhaben.
Zahlreiche Kombinationen mit von Wiking werkseitig samt Zughaken ausgelieferten Pkw wurden möglich, vor allem dann, wenn es die amerikanischen Limousinen waren. Sogar als Geschenk-Set bereitete Peltzer dem Wohnwagengespann den Weg in Sammlerhände. Der Wohnwagen hatte es mit dem Wilk 630 zum Statussymbol der Wirtschaftswunderjahre geschafft – der Hausstand wurde eingepackt, und ohne jede Entbehrungen eroberte die Familie Europa. Bis 1970 verweilte der in die Jahre gekommene Sport Berger L3 im Programm. 1971 löste ihn der Knaus Südwind ab. Auf den ersten Blick wirkte dieser Wohnwagen kaum größer als sein Vorgänger. Doch in der Form entsprach er wie der Wilk 630 dem Zeitgeist. Schluss mit der Enge – endlich mehr Platz für die Familie.
Das nächste Jahrzehnt gehörte endgültig den Reisemobilen. 1980 stellte Wiking den knuffigen Sven Hedin von Westfalia vor, für den das frische VW-LT-Fahrgestell veredelt wurde. Hinzu kam der Mercedes-Benz 207 D, der gleich mit zwei Westfalia-Dachaufbauten die Versionen Skipper und James Cook miniaturisierte. 1996 aktualisierte Wiking das Thema und stellte neben dem Karmann-Wohnmobil Gipsy auf VW-T4-Fahrgestell nach langer Zeit auch einen aktuellen Wohnwagen vor. Aerodynamischer wirkte er, besaß größere Fenster und eine kreativere Seitengestaltung. Der Dethleffs 530 passte in die Zeit. Durch die getönten Scheiben war sogar ein Blick ins detaillierte Innere möglich. Die Größe zeigte, dass der Raumbedarf noch einmal deutlich gewachsen war.
Ganz gleich ob Glück oder Können: Wiking sollte den richtigen Riecher haben, als 2005 Tabbert seinen T@B vorgestellte. Er erinnerte auf Anhieb an den Sport Berger L3. Im Bicolor-Design „Tequila Sun“ wirkte der T@B unkonventioneller denn je. So viel formaler Mut bei den Konstrukteuren des Wohnwagenherstellers Tabbert sollte einen festen Platz im Wiking-Programm bekommen. Der T@B machte das Caravaning vom ersten Moment an jünger denn je und erfreut sich in 1:87 bis heute unverändert großer Beliebtheit.
Wiking gab überdies eine facettenreiche Antwort auf die Klassikerwünsche der Campingfreunde. So folgten der VW T1, aber auch der Borgward-Bus und sogar der Unimog S 404 dem Ruf des Caravanings. Und die Traditionsmodellbauer gaben dem T1 noch eine Reminiszenz an die glänzenden Westfalia-Zeiten mit auf dem Weg, als in Rheda-Wiedenbrück vom Vorbild bis zu 125 Bulli-Camper gefertigt wurden, täglich wohlgemerkt. Dem Campingvergnügen sind dank Aufstelldach seither keine Grenzen gesetzt. Markant und geradezu charakterprägend wirkte das Reserverad an der „Nasenspitze“ des Bulli oder der schmale Dachgepäckträger hinterm Aufstelldach. Wenn der Fan dann noch den Wiking-T1 im Zebra- Design sieht, werden Erinnerungen an „Daktari“ oder „Hatari“ wach. Camping hatte eben auch immer etwas von Abenteuer und Freiheit fernab des Alltags.